Im Grunde genommen begann die Geschichte der Evangelischen hier am westlichen Ufer des Ammersees wie in ganz Bayern ziemlich gut! Schon im Herbst 1511 kommt Luther auf seiner Reise von Wittenberg nach Rom über Nürnberg, Augsburg, Memmingen und den Bodensee wahrscheinlich zum ersten Mal nach Bayern. Er ist zusammen mit seinem Ordensbruder Johann von Mecheln im Auftrag des Augustinereremitenklosters unterwegs nach Rom, um dort Ordensangelegenheiten zu regeln. Im April 1518 reist Luther zu einem Konvent seines Ordens nach Heidelberg.
Im Oktober desselben Jahres kommt er nach Augsburg und wird dort vom päpstlichen Legaten Cajetan verhört. Es geht um die 95 Thesen zum Ablass, die er 1517 in Wittenberg veröffentlicht hat. Luther hat also Bayern und die Bayern kennengelernt und schreibt 1536: „Erlöse und behüte Gott das Bayernland…. Wenn ich viel reisen sollte, wollte ich nirgends lieber denn durch Bayern und Schwaben ziehen! Denn sie sind freundlich und gutwillig, beherbergen gern und gehen Fremden und Wandersleut entgegen“. Nur wenig später, 1540, kommt Luther allerdings zu einem ganz anderen Urteil wenn er schreibt:
„Bavari sunt stulti et non ingeniosi“ (Die Bayern sind dumm und einfallslos!). Allerdings meint er damit die Herrschenden in Bayern (aus H. Roser: Altbayern und Luther. Claudius München 1996, S. 16).
Und damit sind wir schon mitten drin in der bewegten Geschichte des evangelischen Glaubens in Oberbayern. Interessanterweise spiegelt sich diese Geschichte auch genauso hier bei uns am Ammersee wider.
Im Wesentlichen kann man drei Phasen feststellen. Die 1. Phase war im 16. Jhd., dann war ca. 200 Jahre Ruhe mit den Evangelischen am Ammersee und in Oberbayern. Schließlich kam die 2. Phase, Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des 2. Weltkrieges und dann von 1945 bis heute die 3. Phase!
Die 1. Phase: Das 16. Jahrhundert
Wir haben ja im Reformationsjahr gehört, dass Augsburg fast schon ein Zentrum der Ereignisse im Zusammenhang mit der Reformation war. Seine größte Bedeutung hat Augsburg für die Reformation mit dem Reichstag 1530 bekommen, als Melanchthon dort das sogenannte Augsburger Bekenntnis, die Confessio Augustana, vor dem Reichstag verlesen konnte. Die Augsburger haben dadurch natürlich sehr viele Informationen und den ganzen Trubel um Luther und die Reformation mitbekommen. Auch war Augsburg damals eines der wichtigsten und größten Handelszentren Europas. Die 46/47 n. Chr. ausgebaute Via Claudia Augusta führte von der Donau aus, über Augsburg dem Lech folgend, über die Alpen nach Italien. Auf dieser Handelsroute waren auch Augsburger Händler schon seit langer Zeit in Richtung Süden unterwegs und es war nur natürlich, dass sie auf dem Rückweg vom Ammersee Fisch mit nach Augsburg nahmen. Dadurch erfuhren die Menschen in Dießen, und hier vor allem die Fischer, von Martin Luther und seinen reformatorischen Gedanken. Dabei hörten sie auch, dass bei den Reformatoren die damals lateinische Messe auf deutsch gelesen wurde.
Die sogenannte „Deutsche Messe“ versuchte, den abendländischen Abendmahlsgottesdienst in deutscher Sprache und nach den neuen Erkenntnissen der Reformatoren zu gestalten. Das wollten die Fischer am Ammersee auch so feiern!
Aber es gab ein Problem, denn in einer Anweisung von 1522, die 1524 nochmals verschärft wurde, verbot der regierende Herzog Wilhelm IV. (1493-1550) bei strenger Strafe „des Luthers Irrtümer anzuhangen und dieselben zu diskutieren, zu beschützen und zu verfechten (C.-J.Roepke, Die Protestanten in Bayern, S.16). Herzog Wilhelm IV. erließ diese Anordnung, weil er selber zutiefst katholisch war.Er dachte, dass mit Luther gegen die von Gott eingesetzten Herrschaftsordnungen verstoßen würde und er Angst vor politischen Umstürzen wie z.B. Bauernaufstände hatte. Ab 1523 waren dann die Evangelischen in Oberbayern, und damit auch hier am Ammersee, der Verfolgung ausgesetzt. Woher weiß man das? Von einer Ende des 19. Jhds. niedergeschriebenen Geschichte des Marktes Dießen. 1901 verfasste der damalige Pfarrer von Dießen, Johannes Anton Hugo, eine Geschichte des Marktes Dießen. Dafür forschte er fünf Jahre lang in den Büchern der Pfarrei Dießen, des Klosters und der Marktgemeinde und fand dabei eben auch Informationen über die „evangelischen Fischer“ am Ammersee! Diese hatten nämlich zwischen 1540 und 1570 die Idee, zusammen mit einem sogenannten Weltprediger aus München immer wieder sonntags auf den See rauszurudern, so zu tun, als ob sie fischen würden und dabei heimlich eine deutsche Messe zu lesen. Der damalige Pfarrer von St. Georgen, Albert Gloggel, ließ diesen Weltprediger verhaften, nach München überstellen und „gab sich alle Mühe, den angefachten Brand zu löschen und die Irregeführten wieder auf die wahre Weide zurückzuführen“. Das zeigt, dass bis ca. 1570 auch am Ammersee und in Oberbayern immer wieder evangelisches Gedankengut zu finden war. Der Sohn von Herzog Wilhelm IV., Herzog Albert V. erstickte dann um 1570 herum alle protestantischen Gedanken im Adel und in der Bevölkerung ziemlich brutal. Damit war ab 1570 Oberbayern und damit auch der Ammersee sozusagen „lutherfreie Zone“ und die 1. Phase beendet.
Die 2. Phase: 19. Jhd. bis Anfang 2. Weltkrieg
Oberbayern (Altbayern) war also ab dem Ende des 16. Jhd. „lutherfreie Zone“. Ende des 18. Jhd. starb dann die katholische bayerische Linie der Wittelsbacher aus und die pfälzischen Wittelsbacher übernahmen Bayern. Diese wurden zwar prophylaktisch katholisch, waren aber ursprünglich evangelisch. Der 1. König von Bayern, Max 1. Joseph, heiratete nach dem Tod seiner ersten Frau 1797 die evangelische Karoline Friederike Wilhelmine (1776–1841), Tochter des Erbprinzen Karl Ludwig von Baden und seiner Gattin Prinzessin Amalie Friederike von Hessen-Darmstadt. Mit dem Hofstaat von Königin Karoline kamen auch viele Evangelische 1799 nach München, da sich Karoline in ihrem Ehevertrag das Recht der Ausübung ihres evangelischen Glaubens ausbedungen hatte. Deswegen wurde am 12. Mai 1799 der erste evangelische Gottesdienst in München im grünen Saal von Schloss Nymphenburg zelebriert. Im Jahr 1800 wurde das Ballhaus der Residenz München zu einer evangelischen Hofkirche umgebaut. Die Einweihung erfolgte am Palmsonntag, dem 6. April 1800, durch Kabinettsprediger Ludwig Friedrich Schmidt. Die erste evangelische Kirche in der Landeshauptstadt bot 900 Menschen Platz. Von da ab lockerte sich der Umgang in Bayern mit den „Wüstgläubigen“. Sie bekamen das Bürgerrecht, hatten Zugang zu Staatsämtern, es gab freie Konfessionswahl, die ersten Gemeinden wurden gegründet und sogar protestantische Schulen wurden eingerichtet. 1849 wurde in München ein sogenannter Reiseprediger berufen, der die wenigen Evangelischen in der Diaspora versorgen sollte. Dieser Reiseprediger musste ein Gebiet abdecken, das größer war als das heutige Oberbayern. Jährlich musste er 1000 sogenannte Poststunden zurücklegen, davon mindestens ein Drittel zu Fuß!
Im Zuge dieses Reisepredigerdienstes wurde dann 1851 wieder der erste evangelische Gottesdienst am Ammersee gefeiert. Zuerst nur ein Mal jährlich in Dießen, ab 1859 zwei Mal jährlich an wechselnden Orten. 1884 wurde dann der erste Reiseprediger in Weilheim berufen. Sein Gebiet erstreckte sich vom Starnberger See über den Ammersee bis nach Mittenwald, Partenkirchen und Oberammergau. Ab 1893 war es dann möglich, monatliche evangelische Gottesdienste auf unserem Gemeindegebiet zu feiern. 1898 gründete sich in Dießen ein „Evangelischer Verein“, der 1899 das Gelände der alten Schießstätte samt Schützenhaus kaufte. Das Gelände musste wegen des Baus der Eisenbahnlinie von Geltendorf nach Weilheim aufgegeben werden und stand zum Verkauf. Am 29. Juli 1900 erfolgte dann die Einweihung der Friedenskirche in Dießen. Damit hatten die Evangelischen am Ammersee-Westufer ihr geistliches Zentrum. Ab 1926 wird das Ammersee-Westufer zur Tochterkirchengemeinde der evangelischen Gemeinde Weilheim, die seit 1913 eine eigenständige Gemeinde ist. Damit wird das westliche Ammerseeufer zum sogenannten „Exponierten Vikariat“, d.h., es bekommt einen Vikar als Geistlichen, der wie ein Pfarrer die Gemeinde selbstständig in Gottesdienst, Unterricht und Seelsorge versorgt. Der mittlerweile gegründete „Evangelische Verein“ in Utting erwarb dann 1926 das heutige Kirchengelände in Utting und errichtete dort mit viel Eigenleistung einen Betraum, der am 10. Juli 1927 eingeweiht wurde. Vorbild für diesen Bau sind die sogenannten „Holzknüppelkirchen“, wie man sie in den Karpaten findet. 1931 wird dann der Glockenturm angefügt und aus dem Betsaal wird eine Kirche. Die Gemeinde zählte 1927 ca. 700 und 1939 ca. 800 Mitglieder.
Die 3. Phase: 1945 bis heute
Ab 1933 gab es auch innerhalb der Gemeinde eine Auseinandersetzung mit der Bewegung der „Deutschen Christen“, einer nationalsozialistischen Variante des evangelischen Christentums. Die Mehrheit der Gemeinde beteiligte sich nicht an dieser nationalsozialistischen Bewegung und bekannte sich in besonderen öffentlichen Gottesdiensten zur „Bekennenden Kirche“, die sich vom Nationalsozialismus distanzierte. Ab 1944 nahm der Zustrom von Flüchtlingen, die ausgebombt oder vertrieben worden waren, stark zu. Schon 1946 lag die Mitgliederzahl der Evangelischen am Ammersee-Westufer bei ca. 3000 Mitgliedern. Am 9. April 1948 wurde dann eine neue evangelische Kirchengemeinde am Ammersee-Westufer gegründet, die Kirchengemeinde Dießen/Utting. Heute hat unsere Gemeinde ca. 4400 Gemeindemitglieder und stellt damit ca. 18% der Bevölkerung am Ammersee-Westufer. Insgesamt wird in drei evangelischen Kirchen (Friedenskirche Dießen, Christuskirche Utting und Simeonskapelle Augustinum) und drei katholischen Kirchen (St. Veith Windach, St. Sebastian Eching und St. Jakob Schondorf) sonntäglich Gottesdienst gefeiert.